Wenn Sie sich dabei ertappen, wie Sie Ihre Streaming-Dienste durchblättern und immer wieder sagen: „Das habe ich gesehen“, dann haben wir Sie im Griff. Von Zeit zu Zeit werden unsere Autoren einige versteckte Edelsteine und Filme empfehlen, die mabye bei ihrer Erstveröffentlichung nicht groß rausgekommen sind, aber trotzdem sehenswert sind. Ich habe mich heute auf Indie-Filme aus allen verschiedenen Genres konzentriert, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind alle sehr, sehr gut. Vielleicht finden Sie etwas für sich, das Sie noch nie gehört oder gesehen haben.
Water Lilies – Céline Sciamma (2007)
(Verfügbar auf dem Criterion Channel)
Wenn Ihnen 2019 das „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ gefallen hat (klicken Sie hier, um unsere Rezension dazu zu lesen), sollten Sie sich unbedingt Céline Sciamma’s Lesbenexpoloration „Water Lilies“ von 2007 ansehen. Mit an Bord ist auch die Hauptdarstellerin von „Portrait einer jungen Frau in Flammen“ Adèle Haenel, die im Alter von 18 Jahren für den Newcomer Caesar nominiert wurde.
Im Mittelpunkt der Handlung steht die fünfzehnjährige Marie (Pauline Acquart), ein ruhiges, unauffälliges Mädchen, deren einziger Freund die infantile Schwachkopf Anne (Louise Blachère) ist. Während einer Schulaufführung des Synchronschwimmteams verliebt sich Marie in Floriane (Adèle Haenel), den Star des Teams. Als es Marie nach einigen Kinderkrankheiten gelingt, sich mit dem unnahbaren Mädchen anzufreunden, aber zunächst nur von ihr ausgenutzt wird, entwickelt sich zwischen den beiden eine seltsame Freundschaft, die immer von erotischer Spannung bestimmt ist. In Florianes Unrat sucht Marie nach Reliquien, auf die sie ihre Sehnsucht projizieren kann, kann aber gleichzeitig ihrer Freundin ihre Liebe nicht gestehen. Diese ist ohnehin mehr mit dem Schwimmer François (Warren Jacquin) beschäftigt.
Wenn von der ersten Liebe die Rede ist, ist damit meist ein positiver Übergangsritus in eine neue Welt gemeint. „Water Lilies“ entzaubert diesen romantisch verklärten Mythos und zeigt die erste Liebe als das, was sie sein kann: eine komplizierte und schmerzhafte Erfahrung. Für Sciamma ist die Jugend vor allem ein Zustand der Melancholie und des Überwältigt-Seins von den eigenen Gefühlen. Doch die Inszenierung in Seerosen ist bei weitem nicht so ernüchternd wie diese Erkenntnis. Mit ätherischen Gitarrenklängen, unwirklichen Bildern zuckender Körper unter Wasser und melancholischen Partyszenen, unterstrichen durch Eurodance, in dem die Figuren um Liebe und Anerkennung ringen, inszeniert Sciamma die Jugend als verträumte Übergangsphase zur Realität des Erwachsenseins.
Sensibel geht sie mit dem Thema der jugendlichen Sexualität um, die sonst meist als komödiantisches Tohuwabohu verkauft wird. Er überzeugt nicht nur durch seinen genau beobachtenden, ruhigen Erzählstil, sondern vor allem durch die einprägsamen Schauspielerinnen, die ihre Körperlichkeit mutig in den Film einbringen. Sciamma hat eine solche Gabe, sowohl die langsame Intensität des Begehrens als auch den eigentümlichen und unvergesslichen Brustschmerz des Verrats zu schildern. Es ist alles in allem sehr beeindruckend zu sehen, wie man schon so viel von der Verletzlichkeit, die sie hier auf die Leinwand gebracht und später in „Portrait einer jungen Frau in Flammen“ zur Perfektion gebracht hat, sehen kann.
The Last Black Man In San Francisco – Joe Talbot (2019)
(Leider in Deutschland nirgendwo erhältlich)
Um die Black Lives Matter-Bewegung zu unterstützen, schlage ich Ihnen vor, sich „The Last Black Man In San Francisco“ von A24 aus anzusehen. Der Film folgt Jimmie (Jimmie Fails) und Montgomery (Jonathan Majors), die in der heruntergekommenen Gegend von Hunter’s Point in San Francisco leben, wo Jimmie bei seinem Freund (einem zuvor erfolglosen Dramatiker) und seinem blinden Großvater (Danny Glover) Unterschlupf gefunden hat. Aber es gibt die Aussicht auf ein besseres Leben, ein ehemaliges. Im Filmore-Viertel von San Francisco, das – so die Familienlegende – kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Jimmie’s Großvater im viktorianischen Stil vergangener Tage mit seinen eigenen Händen erbaut wurde. Jimmie bemerkt nicht, dass das Haus nicht an ein Gebäude aus den späten 1940er Jahren erinnert, sondern eher an die vielen bemalten alten Damen der Gegend, die alle viel älter sind, aber ein Führer, der eine Gruppe von Segway-Touristen durch das Viertel führt, tut dies. Doch Jimmie lässt sich davon ebenso wenig beunruhigen wie von den heutigen Eigentümern, die versuchen, seine kleinen handwerklichen Dienste am Haus mit gezielten Croissant-Würfen zu verhindern.
Als das Paar eines Tages ausziehen muss – die beiden Geschwister können sich in einer Erbschaftsangelegenheit nicht einigen – ist Jimmie’s Stunde endlich gekommen. Mit Eifer und der Hilfe von Montgomery besetzt er schnell das leere Haus in einer Gegend, in der seine Hautfarbe die absolute Ausnahme ist. Alle Versuche, seinen Status als zumindest vermeintlicher Eigentümer des Hauses zu legalisieren, scheitern aus verschiedenen Gründen.
Joe Talbots Debütfilm, der lose auf den autobiografischen Erfahrungen des Hauptdarstellers Jimmie Fails basiert, aus dem sein Kindheitsfreund Talbot und Rob Richert ein einfühlsames Drehbuch voller Wärme und Einfühlungsvermögen gecastet haben, ist im besten Sinne des Wortes eine filmische Wundertüte. Angereichert mit magischem Realismus und in einer unbestimmten Zwischenzeit zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft angesiedelt, kombiniert mit Gesellschaftskritik (vor allem zu einem komplexen Thema wie der Gentrifizierung) mit viel Einfühlungsvermögen und feiert eine Freundschaft, die fast mehr wie eine Liebesgeschichte anmutet.
Neben den Themen Heimat und Freundschaft stehen bei Jimmie und Mont auch Fragen der Identität und Gruppenzugehörigkeit im Weg. Doch gerade diese Vielfalt macht es schwierig, den beiden wirklich nahe zu kommen, so dass man das Gefühl hat, eher an der Oberfläche zu bleiben. Dennoch ist es ein wichtiger Blick auf das global auftretende Phänomen der Gentrifizierung, der zeigt, welche Auswirkungen städtische Bewegungen auf den Einzelnen haben.
Who Am I (2014)
(Verfügbar auf Netflix)
Haben Sie die Drehungen und Wendungen der deutschen Netflixshow „Dark“ geliebt? – Dann habe ich für Sie den perfekten Film zum Anschauen. „Wer bin ich“ aus dem Jahr 2014 unter der Regie von „Dark“-Schöpfer Baran bo Odar. Clevere Inszenierung trifft auf eine frische Besetzung, die auch spannende Genre-Unterhaltung made in Germany mit einem hippen Look zelebriert, der sich anfühlt wie das Liebeskind von „V für Vendetta“ trifft auf „Mr. Robot“.
Benjamin (Tom Schilling) ist eine graue Maus im hippen Berlin, ein intelligenter, aber schüchterner Einzelgänger und Computerfreak, dem es an innerer Stärke und äußerer Orientierung fehlt. Er ist in gewisser Weise ein deutsches Pendant zu Keanu Reeves in „Matrix“, Edward Norton in „Fight Club“, James McAvoy in „Wanted“: jemand, der geweckt werden muss. Jemand, der den starken Mentor braucht, um endlich zu rebellieren. Im deutschen Kino gibt es wohl zur Zeit niemanden, der diesen „Lehrer“ glaubwürdiger verkörpern könnte als Elyas M’Barek. Mit seiner typischen Mischung aus Männlichkeit und Frechheit lockt er den unscheinbaren Benjamin in eine Welt voller Action und Abenteuer. Und lehrt ihn eine grundlegende Weisheit: dass man sein kann, wer immer man sein will. Und dass es keine Sicherheit im Leben gibt, wie sehr wir auch danach streben.
Der interessanteste Aspekt von „Wer bin ich“ ist seine Struktur. Die Geschichte entfaltet sich in langen Rückblenden, in denen Benjamin in der Art eines geläuterten Verbrechers eines dänischen Ermittlers (Trine Dyrholm) sein Lebensgeständnis ablegt. Auch das ist, wie es scheint, keine sehr originelle Drehbuchtechnik. Aber je länger Benjamin die Geschichte erzählt, desto undurchschaubarer werden die Zusammenhänge. Und desto mehr beginnt man sich zu fragen, wo in seiner Erzählung die Grenze zwischen Realität und Erfindung, zwischen Fakt und Täuschung verläuft. Am Ende gibt der Film stilecht die Antwort: mit einem sensationellen Zaubertrick.
Ein packender Thriller, der einen von Anfang an in seinen Bann zieht. Die Geschichte lebt einfach von der Spannung, und auch die Spannung der verschiedenen Charaktere kommt nicht zu kurz. Besonders gut gefallen hat mir das Ende, das unvorhersehbar und überraschend ist, so dass „Dark“-Fans mit diesem Film auf jeden Fall zufrieden sein werden.