Wenn Olivia Colman in ihrem Rollstuhl sitzend über die Bildfläche geschoben wird, theatralisch das Gesicht verzieht und ihre Mitmenschen zum Schweigen bringen will, dann würde man im ersten Moment nicht davon ausgehen, dass sie eine graziöse Persönlichkeit wie eine Monarchin verkörpert. Denn die Figur die man auf der Leinwand zu sehen bekommt, ist zwar eine, mit der die britische Schauspielerin kein neues Gebiet betritt, da sie mit ihren Rollen immer wieder gerne gegen den Strich gebürstete Charaktere spielt, jedoch dem widerspricht, was man sich normalerweise unter einer solchen Figur vorstellt. Und hier kommt der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos ins Spiel, der eine solche Figur nimmt und sie im gegensätzlich zu allen Erwartungen handeln lässt. Für seinen Kostümepos „The Favourite“ lässt er eine Starbesetzung auflaufen, die sich allesamt auf ein Filmprojekt eingelassen haben, welches auf den ersten Blick so skurril erscheint, dass man es wahrscheinlich genau deswegen bloß mit einer gewaltigen Portion menschlichem Wahnsinn angehen kann.
Zumindest hat Lanthimos dies schon in seinen vorherigen drei Filmen „Dogtooth“ (2009), „The Lobster“ (2015) und „The Killing of a Sacred Deer“ (2017) beweisen, die alle auf ihre ganz eigene Art und Weise verstörende und einzigartige Momente kombinierten. Das ist wie zu erwarten in seinem neuesten Streifen nicht anders, denn der Regisseur legt einen zu großen Wert auf ausprobieren, anstatt seinen Fokus daraufzulegen die breite Masse anzusprechen. Es ist schon eine Kunst, dass man „The Favourite“ seinen wohl bisher zugänglichsten Film nennen kann, selbst wenn er Szenarien wie das Bewerfen von fettlebigen Menschen mit Lebensmitteln und Entenwettrennen beinhaltet.
Die Mischung aus klassischem Historiendrama und Komödie wie es hier der Fall ist, ist in jeder Hinsicht brillant, was sicherlich auch den Drehbuchautoren Deborah Davis und TonyMcNamara zu verdanken ist. Es zeugt von hoher Kunst in der Lage zu sein, seine Figuren so handeln zu lassen, dass es einerseits urkomisch ist, einem jedoch im nächsten Atemzug das Lachen im Halse stecken bleibt. Die Dialoge sind clever, bissig und immer auf den Punkt gebracht – besonders Nicholas Hoult überragt mit seinem komödiantischen Timing und auf die Spitze getriebenen Humor. Nichtsdestotrotz sollte nicht außer Acht gelassen werden, was hinter diesen zynischen Kommentaren steckt – Botschaften, die weit unter der Oberfläche stattfinden und die tragischen Verhaltensmuster der verbitterten Charaktere offenbaren wollen. Hinter diesen distanzierten und widrigen Persönlichkeiten, steckt mehr Menschlichkeit als man vermuten würde.
Während Abigail Hill (Emma Stone) ihren persönlichen Eigennutz aus der Gunst ihrer Majestät will, arbeitet Sarah Churchill (Rachel Weisz) im Gegensatz aus Patriotismus für England. Alle Widrigkeiten, die sie bereit ist für ihre Königin zu ertragen basieren nicht ausschließlich aus der Liebe zu ihr, sondern duellieren auch mit ihrem persönlichen Drang nach Macht und Sicherheit für den Staat. Doch Sarah’s persönliche Motivation schränkt sie im Schusswechsel mit Abigail deutlich ein, da die Königin sich als die Personifikation des Staates identifiziert, jedoch trotzdem das Gefühl hat Sarah wären politische Machenschaften wichtiger. Und genau aus diesem Grund muss Sarah dabei zu sehen, wie Abigails falsches Spiel ihre Geliebte um den Finger wickelt.
Und genau das macht „The Favourite“ aus – Der Film brilliert vor allen Dingen durch den Umbruch der Erzähl-Dynamik, da sich der Sympathieträger des Zuschauers in nahezu jeder Szene ändert und man sich in einem fortlaufenden Kreis mit der Frage wiederfindet, welche Angebetete von Königin Anne nun Gut oder Böse ist. Der Film trennt diese beiden Moralitäten jedoch nicht voneinander ab, für Lanthimos spiegelt weder Sarah noch Abigail das klassische Bild eines Antagonisten wieder. Viel offensichtlicher stellt er die Frage in den Raum, welche übergeordnete Macht eigentlich entscheidet inwiefern Gut und Böse zu trennensind, da schließlich beide Seiten in jedem Menschen zusammengeführt werden. Denn während es zu Beginn doch sehr darauf schließen mag, dass Sarah Churchill als Widersacherin versucht, die Sympathieträgerin Abigail abzuweisen, so muss man doch im Laufe der Handlung mit ansehen, dass diese ihre eigenen Abgründe hat und die Dunkelheit in uns Menschen in vollsten Zügen auslebt.
Einzig und allein Olivia Colman’s Figur ist die Leerstelle im Zentrum der Moralrepräsentation. Sie ist der wandelnde Beweis dafür, dass der Mensch zu klein ist für die große Macht eines Imperiums, weswegen sie lieber zwei Frauen beherrscht, die sie umwerben, als ein Land zu regieren. Olivia Colman begibt sich für diese Rolle auf waghalsiges Territorium, schafft es aber auf jeder Linie die Trauer, Einsamkeit und Verstrickungen ihrer Figur im gesamten Film spürbar zu machen und etwas Geerdetes neben den Feindseligkeiten zwischen Sarah und Abigail auf die Leinwand zu bringen, weswegen derZuschauer ihre Melancholie unterschwellig mitspüren kann. Sie ist nichts weiter als ein Vogelgefangen in einem Käfig, der von jedem angeschaut aber nicht richtig wahrgenommen wird und deshalb die dunklen Gemächer nicht verlassen kann und auf ewig so weiterleben muss.
Lanthimos und sein Kameramann Robbie Ryan zeigen dies bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich mit Weitwinkelobjektiven, die einen verzerrten Blick auf die Realität am Königshof bieten sollen und mit der Fischaugenansicht für Verwirrung sorgen. Somit ruft der Regisseur in seinen ausstraffierten und gefilmten Bildern dennoch immer wieder beklemmende Momente hervor, die genauso wirken wie Königin Anne’s Innenleben selbst. Der düstere Score verschwimmt mit dem Kammerspiel, das tragische Seelenleben der Charaktere verliert sich oft in den Schatten der königlichen Gemächer. Diese Emotionen katapultiert Yorgos Lanthimos‘ auf die Leinwand: Auf der einen Seite wirkt es vollkommen grotesk, zum anderen lassen die eigensinnigen Bilder einem auch nach dem Anschauen nicht mehr los.
Der Kostümepos „The Favourite“ ist nicht nur ein schwarzhumoriges Drama, welches am britischen Königshof angesiedelt ist. Wenn man den Adel bis auf den blanken Nerv zerlegt dann kann man auch fernab der Machtspielchen, Sex und Eifersucht einen Kommentar zur Gegenwart beziehen. Hierbei legt Regisseur Yorgos Lanthimos‘ seine ganz eigene Handschrift auf die Filmwelt nieder. Wer sich für experimentierfreudige Streifen öffnen kann,der wird in seinem neuesten Werk etwas zu sehen bekommen, was man nicht oft im Kino geboten bekommt, allerdings muss man auch an vielen Stellen ein Auge zudrücken, da diese sperrig erscheinen. Nichtsdestotrotz kann man ganz klar sagen, dass diese skurrilen Ideen funktionieren, da der Macher an seine eigene Kunst glaubt. Und das ist auch das was „The Favourite“ ausmacht – anders zu sein und sich genau deswegen sich von der Masse abzuheben.