Am 16. Juli 1945 ging der Menschheit zum ersten Mal ein Licht auf, das die dunkelste aller Seiten der Menschheit zum Vorschein brachte. Die Genialität eines Mannes zauberte einen Feuerball hervor. Ein amerikanischer Prometheus, der einst nur erforschen wollte, was mit den Sternen passiert, wenn sie sterben. Je größer der Himmelskörper, desto größer sein Untergang. Stattdessen wurde er erst zum Vater der Atombombe, dann zum Staatsfeind und schließlich zum gefeierten Helden. Christopher Nolan hat nun mit „Oppenheimer“ einen Film geschaffen, der wie sein Namensgeber selbst in Erinnerung bleiben wird und dessen Nachbeben so gigantisch sein wird, dass in Hollywood goldene Statuen vom Himmel regnen werden.
Das Kino versucht, sich zu erholen – sowohl von den Ereignissen der letzten Jahre als auch vom Aufkommen der Streaming-Dienste. Nur wenige Filme haben es geschafft, den Nerv der Zeit und des Publikums zu treffen. Christopher Nolan hat es bereits 2020 mit „Tenet“ versucht: Es fehlte jedoch etwas, das explosiv und spannend genug war, um die Menschen in die Kinos zu locken und ihnen etwas zu geben, das sie auch verstehen können und nicht nur fühlen müssen. Nun kam ihm nicht nur die „Barbenheimer“-Kampagne zugute, die zeitgleich mit Greta Gerwigs großem Studiodebüt für die „Barbie“-Puppe und seiner ersten Universal Pictures-Kollaboration „Oppenheimer“ erscheint, sondern auch die Besetzung der Hauptrolle: Seine Geheimwaffe und langjähriger Mitarbeiter Cillian Murphy darf nun zum ersten Mal eine Hauptfigur für ihn spielen, und die Rolle, die er verkörpert, bringt viel Verantwortung und Wagnis mit sich.
„Oppenheimer“ enthält viele Komponenten, die ihn vom typischen Nolan-Film abheben: Neben einem großen Ensemble-Cast, der fast ausschließlich aus bekannten Gesichtern besteht – viele aber zum ersten Mal einsetzt und es schafft, das Beste aus ihnen herauszukitzeln, wird das Drehbuch auf unkonventionelle Weise von einem Ich-Erzähler (Oppenheimer selbst) vorgetragen. Und noch ungewöhnlicher ist das Genre, das er gewählt hat: ein Biopic. In Sachen Inszenierung führt er seine Fans zurück zu seinen Anfängen: So ironisch es für einen Film über die Atombombe klingen mag, Nolans Werk ist geerdeter als Beispiele aus dem letzten Jahrzehnt und erinnert stark an „Insomnia“ oder „The Prestige“.
Langjährige Kritiker des Regisseurs werden hier ein Fertiggericht vorfinden – so ziemlich alle üblichen Komponenten lassen sich ankreiden: Die unkonventionellen Zeitebenen – die er schon in „Dunkirk“ zu seinem Vorteil ausspielte und auch hier nur der Erzählstruktur zugute kommen, aber die Handlung in die Länge ziehen; die Tonabmischung; sowie die unausgegorenen Frauenfiguren, die oft nicht mehr als eine Charaktereigenschaft haben und hin und wieder im Bild auftauchen und dann wieder verschwinden. Will uns Nolan also nur weismachen, dass hier zur Abwechslung mal einer seiner Filme den Bechdel-Test besteht, oder haben Kitty Oppenheimer und Jean Tatlock tatsächlich größere Nebenrollen?
Ja und nein. Während Emily Blunt eine unglaublich starke Szene im dritten Akt erhält, der die Reduzierung ihrer Figur fast schon wieder wett macht, wird sie einfach in die Handlung reingeworfen und ist innerhalb von weniger Sekunden in J. Robert Oppenheimer verliebt und gibt für ihn ihre vorherige Ehe auf – spüren tut man diese Verbindung nie, worauf das Augenmerk eher gelegt wird, ist ihre Vorliebe zum Alkohol und reduziert sie nur darauf Mutter zu sein und ihren Ehemann als Feigling zu bezeichnen. Anders als sie, wird Pughs Figur auf ein Minimum reduziert, obwohl sie nicht nur die indirekte Inspiration und Namensgeberin des Trinity-Projekts war, sondern auch einen großen Einfluss auf J. Robert Oppenheimer selbst hatte. Die überzeugte Kommunistin war viel mehr als nur eine einfache Affäre und eine der vielen Sexualpartnerinnen von „Oppy“, wie er von allen liebevoll genannt wird – aber ist das wirklich wichtig und brauchen wir diese Informationen über sein Privatleben, wenn es doch eigentlich um eine größere Sache geht, die vielleicht „wichtigste“ von allen?
Lassen wir also einmal beiseite, dass er ein Frauenheld war. Oder ein „bescheidener“ Physiker. Der Zuschauer sympathisiert auch mit dieser Figur, nicht weil er ein labiler, überheblicher, selbstverliebter Neurotiker war, sondern weil sein Handeln und sein Intellekt die Welt, wie wir sie heute kennen, geprägt haben. Ohne Oppenheimer würden wir nicht in seiner Szene nach dem Abspann leben. Sein Schmerz, seine Schuldgefühle und sein Mitgefühl sind nicht der Grund, warum der Zweite Weltkrieg endete und die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, aber sie sind von grundlegender Bedeutung dafür, dass wir uns einen Film über einen Mann ansehen, der zum Tod geworden ist, zum Zerstörer von Welten. Und wir können die Hilflosigkeit und Leere hinter seinen Augen verstehen. Oppenheimer war ein komplizierter Mann mit einer noch größeren Last, aber gerade eine solche moralisch graue Figur braucht man, um eine Geschichte zu erzählen, die immer noch bedeutend ist.
Und damit hat Nolan zum ersten Mal in seiner Karriere etwas geschafft, woran er bisher immer gescheitert ist: Er hat nicht einfach eine Geschichte erfunden, in der der Protagonist in Traumwelten versinkt, Gotham City rettet oder ein Astronaut einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge entdeckt – er nimmt einen fundamentalen Teil unserer Geschichte, der uns heute noch genauso betrifft wie vor 80 Jahren, und konfrontiert uns mit dem Bösen, das in uns steckt. Das, was schon immer in den Menschen war und unsere DNA nicht verlassen wird. Die Filmmusik von Ludwig Göransson, Karrierebestleistungen von Cillian Murphy und Robert Downey Jr. sind vielleicht nur die letzte Lunte für den kommerziellen Erfolg, aber das Lob für den Atombombenfilm und die Bezeichnung „Meisterwerk“ kommen nicht von irgendwoher.
In „Oppenheimer“ geht es vor allem um die Tragik des ständigen Wegschauens, während täglich (metaphorische) Feuerbälle gezündet werden. Dinge, die schwer zu verstehen sind – sowohl für die Metaphysik als auch für die Menschheit selbst, und die die Frage aufwerfen, ob wir jemals so viel Macht haben sollten. Was zurückbleibt, ist eine Druckwelle – gefolgt von einem schwarzen Schatten. Unabhängig von den persönlichen Gefühlen ist dies unbestreitbar einer der wohl wichtigsten Filme unserer Zeit. Und er wird mit Preisen überhäuft. So wie der echte Oppenheimer mit einer Verdienstmedaille ausgezeichnet wurde, so wird auch die fiktive Version seiner Person und seiner Chronik mit Trophäen in die Geschichte eingehen.