Mit den Erfolgsserien „Stranger Things“ und „The End of the Fucking World“ hat Netflix in den letzten Jahren zwei komplett neue Shows geschaffen, die beim Publikum durch die Decke gingen. Deswegen war es nur eine Frage der Zeit bis sich die Kreativköpfe beider Produktionen zusammenschließen und beides miteinander vermischen. Mit „I Am Not Okay With This“ haben die Produzenten nun die nächste Graphic Novel genommen und diese als Serie verfilmt. In all diesen Wahn immer mehr Comics und Bücher auf die Bildschirme zu bringen, kann es schon mal passieren, dass man erst einmal nach einem Alleinstellungsmerkmal suchen muss. Auch bei „I Am Not Okay With This“ findet man Parallelen zu anderen Werken, was dem Zuschauer sofort ein heimisches Gefühl gibt.
Aber worum geht es? Sydney (Sophia Lillis), ein unzufriedenes, selbstbeschriebenes „langweiliges 17-jähriges weißes Mädchen“ in der verseuchten Stadt Brownsville, Pennsylvania, entwickelt verwirrende emotionale und sexuelle Gefühle und einen ekligen Fleck Akne auf ihren Oberschenkeln. Außerdem: Wenn sie wütend wird, kann sie Dinge mit ihrem Verstand zerbrechen. Der Schmerz über den Selbstmord ihres Vaters ist noch immer eine frische Wunde. Sie handelt aus Frustration, hängt im Schatten herum und trifft sich regelmäßig mit ihrem Highschool-Berater. Syd hat auch ein paar Geheimnisse, die sie nur in ihrem Tagebuch preisgibt: Sie ist in ihre beste Freundin Dina (Sofia Bryant) verliebt und trifft Stanley (Wyatt Oleff), der sie mehr mag, als er sollte.
Da die Serie in der Highschool spielt, betritt sie gelegentlich das unangenehme Teenager-Territorium. Zu den wenigen, schauderhaften Szenen gehört ein besonders schmerzhaftes Spiel von Fuck Marry Kill, eine weitere Netlix-Show, die die Unordnung der Pubertät untersucht – „I Am Not Okay With This“ ist seltsamerweise schwer zu platzieren; aber in diesem Fall ist es das Wann und nicht das Wo. Die 90er Jahre werden als Vergangenheit bezeichnet, aber das Styling und die Garderobe sind entschieden nicht modern. Die Kleidung, die Autos und das Produktionsdesign haben einen Vintage-Look, und es gibt einen spürbaren Mangel an Smartphones. Es ist daher sinnvoll, dass die Kinematographie mit ihren erdigen Tönen, der körnigen Textur und den warmen Farben an die Filmfotografie der 70er Jahre erinnert.
Sophia Lillis und Wyatt Oleff, die beide schon gemeinsam in der Neuverfilmung von Stephen King’s „Es“ vor der Kamera standen, finden ein weiteres Mal vor der Kamera zusammen und diese Vertrautheit spürt man auch bei ihren Charakteren. Die Chemie funktioniert einfach und beide Schauspieler heben sich gegenseitig an, was sie perfekt zum Vorteil des jeweils anderen nutzen.
„I Am Not Okay with This“ kurze Episoden – alle weniger als 30 Minuten lang und insgesamt sieben – stehen Sydneys innerem Monolog gegenüber, einem gängigen Werkzeug der Selbstreflexion in den heutigen Teenagerdramen. Diese Erzählung ist ein Schlüsselelement in einer Serie, in der die Protagonistin selten sagt, was sie meint. Sydney spricht mit niemandem außer Stanley über ihre Kräfte, ihre Beziehung zu ihrer Mutter ist wegen der gemeinsamen Trauer angespannt, und um die Sache noch komplizierter zu machen, hat sie komplizierte Gefühle für Dina, die über platonische Zuneigung hinausgehen. Die Serie zeigt, dass nicht jedes Teenagerleben einfach ist, denn man befindet sich in der sehr persönlichen und tiefgründigen Gedankenwelt von Sydney. Die übernatürlichen Elemente erinnern hier natürlich sehr an „Fremde Dinge“, die tragische Komik greift auf „Das Ende der F***ing Welt“ zurück. Und auch ein bisschen „Carrie“ darf bei dem Mix ebenfalls nicht fehlen.
Trotz der Vertrautheit, die die einzelnen Faktoren der Serie hervorrufen könnte, ist sie in unseren Augen eine willkommene Abwechslung im Meer aus Originals und Streaming Werken. Sie hat Tragik, Komik und tolle Schauspieler, die von ausgeklügelten und tiefgründigen Charakterzeichnungen profitieren. Außerdem macht die Serie mit ihren doch sehr kurzen Episoden definitiv Lust auf mehr.
Sophia Lillis‘ Darstellung zeigt uns von der ersten Minute an, dass sie eine etwas andere jugendliche Protagonistin sein wird „I Am Not Okay With This“ mag Sie in Bezug auf innovative Handlungsabläufe nicht sehr überraschen, aber sie hat Charme und Stimme. Und entgegen dem Trend des aufblasenden Fernsehens läuft sie in sieben energischen Episoden von jeweils etwa zwanzig Minuten. Das Schauspiel von Sophia Lillis wertet die gesamte Serie definitiv auf, und selbst wenn wir nicht viel lernen, ist sie doch charmant, mit einer starken Besetzung von Aufsteigern und einer untertriebenen Navigation der Sexualität. Im Moment ist das OK, aber es gibt definitiv Raum für Verbesserungen.